Torres del Paine – eine Reise wert

Zum ersten Mal seit unserer Ankunft in Chile habe ich das Gefühl etwas Einzigartiges gesehen zu haben: den Nationalpark Torres del Paine. Grüne und tiefblaue Seen, Gletscher und Eisberge, endlose Steppen, wilde Guanakos (eine Art Lama) und Nandus (eine straussähnlicher Vogel) und über allem thronen majestätisch die schwarz-grauen Berge mit den Granittürmen „Torres del Paine“.

In Punta Arenas mieten wir einen weissen Pick-up und fahren zwei Stunden nördlich nach Puerto Natales, das in der Bucht „der letzten Hoffnung“ liegt. Im, direkt am Meerbusen gelegenen, luxuriösen NOI Indigo Hotel verbringen wir 2 angenehme Nächte. Der Skaterpark direkt vor dem Hotel und das kleine SPA machen auch den Junior glücklich. Die Rampen eignen sich wunderbar zum Autos runterfahren zu lassen oder selbst hinunter zu rutschen.

Dann geht es endlich in den Nationalpark. Am ersten Tag wollen wir durch den Park hindurch zu unserem Hotel fahren. Ich habe ein Hotel etwas ausserhalb gebucht, da die Hotels im Park entweder ausgebucht oder kaum bezahlbar sind. Nach zwei Stunden Fahrt erreichen wir den Parkeingang. Als „Chilenen“ müssen wir nur zehn statt der 30 Franken für den Parkeintritt bezahlen (endlich mal ein Vorteil). Kaum im Park werden wir von dem atemberaubenden Panorama überrascht.


Wir sind vor dem starken Wind im Park gewarnt worden, wagen uns aber trotzdem auf eine viertelstündige Wanderung zu einem Wasserfall namens Salto Grande. Zeitweise können wir uns aber wegen den starken Windböen kaum auf den Beinen zu halten. Der Junior hat ziemlich Angst und hört trotz warmer Verpackung im Tragerucksack nicht auf zu Weinen.


Zurück im Pick-up bin ich etwas enttäuscht. Wenn solcher Wind herrscht, können wir mit dem Junior nicht mehr wandern gehen. Zum Glück ist es nach dem nächsten Hügel für patagonische Verhältnisse windstill. Auf der am Parkeingang abgegeben Karte sehen wir nun, dass die Orte mit viel Wind eingezeichnet sind – die werden wir wohl in Zukunft meiden. Es sind zum Glück nicht so viele. Wir begegnen den ersten Guanakos. Eine Art Lama, das mit seinem goldbraunen Fell wunderbar in die Landschaft passt. Ich habe das Gefühl, alle drei Minuten ein Foto schiessen zu müssen.

Beim Parkausgang gehe ich zum Ranger und bitte ihn, per Radio unser Hotel anzurufen, um unsere Ankunft anzukündigen. Dies hat uns der Hotelmanager geraten. Da wir keinen blassen Schimmer haben, wo sich unser Hotel befindet, folgen wir dem Rat. Zwei Wanderer fragen, ob sie mit uns hinten im Pick-up mitfahren können. In Chile ist Autostoppen noch eine Selbstverständlichkeit. So fahren wir mit zwei Menschen auf der Ladefläche aus dem Park. Ich frage mich, wie schnell man denn mit Menschen hintendrauf überhaupt fahren darf, vor allem auf einer Schotterpiste. Nach zwanzig Minuten Fahrt sind wir völlig verloren. Wir halten an und unterhalten uns ein wenig mit unseren Fahrgästen. Sie kommen gerade von einer 8-tägigen Wanderung und wollen zurück nach Puerto Natales ohne noch einen einzigen Schritt laufen zu müssen. Während wir reden, fährt ein schwarzer Pick-up hinzu und fragt, ob ich Franziska sei. Sie seien vom Hotel und würden uns abholen kommen. Wir verabschieden uns von den Wanderern und es folgt eine abenteuerliche Fahrt übers Land durch Drecklöcher und schlussendlich noch einen Fluss. Wir fühlen uns wie im wilden Westen!

Das Hotel (eigentlich eine Schaffarm) taucht erst in letzter Minute auf. Nie im Leben hätten wir das gefunden. Das „Hotel“ hat gut ausgestattete Zimmer mit grandiosem Blick auf die Torres. Strom gibt es jedoch nur drei Stunden am Morgen und Abend. Das feine, mehrgängige Nachtessen wird auf dem Holzherd gekocht. Mobilfunknetz und Internet gibt es nicht, dafür ein Kaminfeuer jeden Abend und jede Menge Schafe, Pferde und Hunde. Ein Ort zum Abschalten.

Am zweiten Tag unternimmt der Ehemann einen der berühmten Wanderungen zum Aussichtspunkt „Mirador de las Torres“ (Teil des W-Trek). Obwohl anspruchsvoll und achtstündig begegnet er zahlreichen Touristen, teils mit leichten Turnschuhen. Der W- oder O-Trek gehören zum Reiseprogramm einer Südamerikareise.

Der Junior und ich verbringen einen ruhigen Tag auf der Schaffarm. Es hat neben den vielen Tieren Stecken zum Sammeln, Steine zum Rumwerfen – der Junior ist sehr zufrieden. Und ich hatte Angst, das uns langweilig wird. Irgendwie merkt er wohl, dass ich völlig unabgelenkt mit ihm zusammen bin. Das Handy bleibt für einmal drei Tage abgestellt. Während seinem Nachmittagsschlaf lese ich seit langem wieder mal in einem Buch. Ich nehme mir vor, in Zukunft das Handy öfters mal abgestellt zu lassen. Aber ob mir das wirklich gelingt?

Am dritten Tag entscheiden wir uns, trotz wolkigem Himmel zu der etwas abgelegenen Laguna Azul zu fahren. Wir scheinen die einzigen Touristen zu sein. Es hat jedoch eine bemannte Rangerstation. Der Ranger empfiehlt uns eine einstündige Wanderung zu einem Aussichtspunkt, welcher nicht in der Karte eingezeichnet ist. Es geht zwar ziemlich bergauf und der Junior will wieder mal nicht selber laufen, aber die Aussicht ist toll. Die Sonne kommt hervor und ab und zu auch die Torres.

Von oben sehen wir, dass nun auch einige andere Jeeps und Minivans auf dem Parkplatz ankommen. Das gute Wetter auf dieser Seite des Parks führt ein paar Touristen zu uns. Wir sind froh, einen etwas weniger bekannten Platz entdeckt zu haben. Von hier könnte man auch einen achtstündigen Trek „off the beaten track“ machen. Der Ehemann nimmt sich das für das nächste Mal vor. Auf dem Rückweg fahren wir zum Salto Paine und staunen wieder ab dem Bild, das sich uns mit den Torres im Hintergrund bietet. Da es aber wieder stark windet, lassen wir den Junior im Auto und wechseln uns ab bei der Besichtigung des Wasserfalls.

Auf dem Rückweg fahren wir, am im Reiseführer als bestgenanntes, Hotel „Tierra Patagonia“ vorbei. Ich steige aus und bekomme vom Hotelmanager eine Führung (er dachte wohl, ich sei von einem Reisebüro). Das Hotel ist ein Traum, jedes Zimmer mit Blick auf den Lago Sarmiento und die Torres. Es gibt auch ein Spa und Internet. Dies alles zum stolzen Preis von 900 Dollar die Nacht pro Person (all inclusive). Irgendwie passt unsere abgeschiedene Schaffarm besser zum Patagonien-Gefühl.

Am vierten und letzten Tag möchten wir das Schiff zum Grey Gletscher nehmen. Die Fahrt zum Hotel Lago Grey, wo das Schiff abfährt, dauert zwei Stunden. Da wir nicht reserviert haben und kein Internet haben, wissen wir nicht, ob und wann in der jetzigen Nebensaison noch ein Schiff fährt. Leider haben wir Pech, wir verpassen knapp die einzige Schifffahrt an diesem Tag. Dafür sparen wir 250 Franken. Ausflüge in Patagonien sind teuer. Den Grey Gletscher und die Eisberge sieht man auch vom Ufer aus. Nach einem Kaffee im schönen Hotel Lago Grey unternehmen wir eine stündige Wanderung zu der Halbinsel am Lago Grey. Hier hat es nun viele Touristen. Bei einer Hängebrücke mit der Kapazität von sechs Personen kommt es zum Stau. Wir können uns nun vorstellen, wie das Wandern hier in der Hochsaison sein muss. Bei der Rückfahrt nach Puerto Natales bieten sich uns immer wieder wunderschöne Aussichten – wir können uns nicht satt sehen. Uns wird klar, wenn irgendwie möglich – we will come back!

Bis ans Ende der Welt

Wir wandern nach Chile aus und plötzlich reisen wir vermehrt und sind unternehmungslustiger. Warum? Weil die Aufenthaltsdauer auf dem neuen Kontinent begrenzt ist und es möglichst viel zu entdecken gilt in dieser Zeit? Weil man ohne soziales Netz und gesellschaftliche Pflichten mehr Zeit hat? Weil man aus dem gewohnten Schweizer Wochenendtrott raus ist? Weil der Ehemann am Wochenende nicht mehr arbeitet? Die Bedenken mit einem Kleinkind zu reisen sind verflogen. Lieber noch die Zeit ausnützen, solange nur ein Kind mitreist.

Über Ostern fliegen wir hinunter ins südliche Patagonien. 3.5 Stunden fliegen und immer noch die gleiche Sprache, der gleiche Mobilfunkanbieter, die gleiche Währung. Aus dem Flugzeugfenster sehen wir riesige Gletscher, die Temperaturen sind entsprechend winterlich. Erstaunlich, dass die europäischen Einwanderer im 19. und 20. Jahrhundert in diesen harschen Bedingungen ein neues Zuhause aufgebaut haben.

In Punta Arenas, einer der südlichsten Städte der Welt übernachten wir in einem Hostel. Mit Kind unter Backpackern zu sein, ist komisch. Welch‘ anderes (früheres) Leben diese doch führen: Sie müssen sich nur um sich selber kümmern und um eine möglichst ausgefallene oder aufsehenerregende Reiseroute. Im Hostel zieht es zu den Fenstern rein und für ein Kinderbett (Deryans Zeltbettli) hat es fast kein Platz. Hoffen wir, in den nächsten, entsprechend teureren Hotels mehr Komfort anzutreffen. Das Frühstück des deutsch-chilenischen Paars ist jedoch sehr fein – selbstgemachtes Brot, Joghurt, Konfi und eine Crèpes mit Apfelmus.
Neben Museumsbesuch und Schlendern durch die Stadt suchen wir auch den schön am Meer gelegenen Spielplatz auf. Auf der Suche nach Spielplätzen lernt man andere Ecken kennen als der Backpacker.

Das Reisen mit Kindern ist langsamer, da der Zeitplan sich nach ihnen richtet. Nicht zu weit laufen (wir reisen diesmal ohne Buggy), zum Mittagsschlaf sollte man in der Nähe des Betts oder eines Sofas sein, immer etwas Essbares und Windeln dabei haben. Dadurch kommt man meist in nicht planbare Situationen, die immer wieder Nachsichtigkeit erfordern. Man erlebt viele Überraschungen, meist gute (Sohn schläft in einer ehemaligen Villa einer reichen Einwanderin in der Hotelbar auf dem Sofa ein, so bleiben wir halt 2 Stunden länger sitzen). Man kann seine Pläne meist nicht 100% durchsetzen. Aber was soll’s, es im Leben ruhiger zu nehmen, hat noch keinem geschadet. So machen wir uns bewusst, dass wir fast am Ende der Welt angekommen sind.

Zurück auf Feld eins

Der Versuch mit dem chilenischen „jardin infantil“ haben wir wieder abgebrochen. Auch nach 3 Wochen gefällt es unserem Junior noch nicht. Nach ein paar Tagen Kamerastudie (ich komme mir vor wie ein Detektiv) sehe ich, dass die Kinder während 3 der 4 Stunden an einem Tischchen sitzen und zuhören müssen. Einmal präsentiert die „tia“ sogar ein Power Point zum Thema Herbst – an Zweijährigen! Dann gibt es zwischendurch mal etwas zu Essen und 30 Minuten wird draussen gespielt. Zum Schluss werden die Hände gewaschen, die Haare frisiert und jetzt kommt’s: Parfüm eingesprüht! Und der Geruch lässt sich nicht abwaschen…so riecht unser Sohn auch am Sonntag nicht fein nach Kleinkind sondern nach Herren-Aftershave. Der Junior ist nach dem jardin auch gar nicht müde und macht jeden Tag ein Drama beim Hingehen.

Gegen den jardin haben wir uns dann entschieden, als er fürs Wochenende die Hausaufgabe bekam, 20 gerade Linien in ein Heft zu zeichnen und eine Seite mit roten Sachen vollzukleben. Erstens malt er sowieso lieber auf den Tisch statt auf ein Blatt, von geraden Linien ganz zu schweigen, und rote Sachen sind vielfach auch noch grün, blau oder gelb.

Ich informiere mich bei Freundinnen und im internet besser über die chilenische Kleinkinderziehung. Scheinbar gibt es ganz strikte Lehrpläne, nach welchen die Kinder mit etwa 4 Jahren lesen und schreiben können müssen. Es ist eine andere Philosophie. Ob die Chilenen dadurch mehr wissen und besser durchs Leben kommen als ein Europäer, sei dahingestellt. Es entspricht auf jeden Fall nicht meinen Vorstellungen von Kleinkinderziehung.

Das heisst, wir sind wieder zurück auf Feld eins. Mama und Sohn 5 Tage die Woche zusammen zu Hause. Ich tue mich schwer damit, hat mir doch die tägliche Routine und die Ich-Zeit sehr gefallen. Es wurmt mich, dass die Anpassung an das chilenische Leben doch nicht so einfach ist. Nun versuche ich unseren Tagen eine neue Struktur zu geben. Wöchentlicher Menuplan machen, Einkaufen, Kochen, Spielen, zum Spielplatz Gehen, mit anderen Müttern neue Spielcafés entdecken und mir zwischendurch ein wenig Ich-Zeit nehmen. Fürs Putzen und Bügeln habe ich schon eine gute Hilfe gefunden – die normale Mittelschicht putzt hier nie selbst. 

Über eine andere Schweizerin finde ich zum Glück eine Art Spielgruppe, die 2x wöchentlich am Morgen bei ihr im Haus stattfindet und die Kinder spielen, malen und basteln lässt. Dort geht der Junior jetzt einmal hin.

Auch die Schweizer Schule hat eine Spielgruppe. Dort gilt jedoch die Regel, mindestens 2.5 Jahre alt und windelfrei zu sein. Dorthin wird er nächstens auch nicht können. Aber die heutige Lösung ist vielleicht die Beste.